Einräume

zwischen Ebbe und Flut

Spiel der Natur

Die Natur hat ihren Rhythmus, ein sich wiederholender Zyklus wie Morgen, Mittag, Abend und Nacht, wie Frühling, Sommer, Herbst und Winter.

Der Mensch als sinnlich und rational handelndes Wesen bringt seinen Lebensrhythmus mit ein und schafft eine mehr, meist weniger harmonische und ästhetische (i. S. Schiller) Veränderung. Einen Ort für die Meditation in einem exemplarisch festgelegten Naturraum kreieren, in welcher der Spaziergänger durch reine Anschauung auf sein innerstes Selbst (i. S. Lurker) sich kontemplativ versenken kann ist die Grundidee dieser konzeptionellen Architektur. Gewählt wird ein quadratisch abgesteckter Landschaftsraum zwischen Meeresufer und Dünenlandschaft auf der Insel Sylt.

»Im Ungesagten das Unsagbare sagen.« (Toyotama Tsuno)

Garten der Meditation

Gezeiten

Fragmente eines Ortes der Beschaulichkeit oder ein Garten für die Meditation — Gebautes Spiel im naturgegebenen Landschaftsraum zwischen Ebbe und Flut.

Das Leben beschrieben als Weg mit Orten und Häusern als Zwischenstationen, die wir im Leben durchschreiten. Auf dem Weg liegen die Orte Geburt, Werden, Sein und Tod mit den entsprechenden Lebensabschnitten Kind, Jugend und erwachsener und greiser Mensch. Mit dem Greisenalter schließt sich der Lebenskreis, der durch den Tod in die Ruhephase (Flut) kommt, bis eine neuer Lebenszyklus (Ebbe) beginnt. Die um 7° aus der N/S- und W/O -Achse versetzten Häuser und Plätze versinnbildlichen das Unvorhersehbare durch den freien Willen des Menschen.

»Einräume«
Wegeführung und bauliche Anordnung
Grafit auf Papier, Fotomontage

»Was ist der Weg? Er liegt vor deinen Augen.« (Wei-kuan)

Haus für den Morgen

Morgen

Das Haus für den Morgen ist der Ort der Jugend.

Das Hindurchschlüpfen durch die kleine Türöffnung, nachdem ein schmaler geschwungener Pfad durch das Reetfeld durchschritten wurde, beschreibt den Weg bis zur Geburt. Als Sinnbild für den Geburtsprozess öffnet sich der neue Raum nach dem Hindurchschlüpfen Licht durchflutet mit der Morgensonne, dem-Licht-des-Lebens, und begrüßt den Wanderer mit der frischen offenen Wärme eines neuen Tages. Das Neugeborene erwacht aus seinem noch unberührten Leben. Sein Blick schweift gen Osten in die Weite eines unbekannten Weges, der vor ihm liegt, aus dem geschützten Raum heraus. Das Schnurren, des vom Wind bewegten Reets auf dem Feld vor dem Hausplateau, erfüllt den Raum.

»Haus für den Morgen«
Grafit auf Papier, Fotomontage

»Der große Morgen — Winde aus alten Zeiten wehen durch die Kiefer.« (Onitsura)

Platz für die Mitte des Tages

Mittag

Von dort, hinaus in die Welt, führt der Weg hinein in den sonnigen Tag auf die Anhöhe einer Düne auf den Platz für die Mitte des Tages.

Dies ist der Ort des erwachsenen Menschen, ein Sonnenplatz, der das Leben in seiner polaren Fülle verkörpert. Dargestellt durch eine Sonnenuhr, beherrscht diese die Hochebene auf der Sanddüne: Mensch durchwandert die Bögen der Zeit. Die Bögen, Streben, Pfeiler und Pfosten der Sonnenuhr stehen sinnbildlich für die Manifestationen im Leben. Mit dem Durchschreiten der Bögen verkürzen sich die Abstände zwischen diesen, während sich die Schatten proportional verlängern und damit die sinnliche Wahrnehmung der Wechselbeziehung zwischen Raum, Zeit und Bewegung räumlich verkörpern. Mit zunehmendem Alter verdichten sich die Erfahrungen — der länger werdende Schatten als Ausdruck tiefer gehende Bewusstseinserfahrung. Die sich zusammenziehenden Zeit-Raum-Rhythmus Bögen verbildlichen die fortwährende Fokussierung auf das Innenleben, gleich einer Versenkung und Kontemplation. Schließlich versandet das Leben, wird wieder zu Erde, ein Sandkorn in der Düne, im Universum. Gehalten vom roten Faden (rot gefärbte hölzerne Steg), auf dem sich die Lebensperlen aufreihen — jede Perle steht für ein Ereignis, eine Erfahrung, eine Erkenntnis. Die Sonnenuhr als Symbol für die Uhr-des-Lebens, verbildlicht hier die Endlichkeit allen irdischen Lebens und zugleich die Unendlichkeit des universellen Bewusstseins im immerwährenden Kreislauf.

»Platz für die Mitte des Tages«
Grafit auf Papier, Fotomontage

»Was ist der wahre Weg? Der alltäglich!« (Chao-chou)

Haus für den Abend

Abend

Dem Lauf der Sonne Richtung Westen folgend, führt der Weg ins Haus für den Abend, ein in sich rechteckig abgeschlossener Kubus aus Ziegelstein, tief in die Erde hinein gegraben.

Dies ist der Ort der alten Greisen, derjenigen, die die Weisheit des Lebens ins sich tragen. Über eine schmale von zwei Wandscheiben flankierte einläufige Treppe führt der Weg des Wanderers unausweichlich in die tiefe Schlucht, deren Lauf vor einer Wand endet. Eine Metapher für das irdische Enden im Tod. Der Blick wird auf ein an die Wand geworfenes Lichtfenster gezogen, welches der Wanderer erst hinter der Wand, durch die Umleitung des Weges in den Raum hinein, erblickt, sinnbildlich für die Überleitung nach der Rückschau. Das an die Wand geworfene Licht tritt über ein Oberlicht, ausgerichtet auf die letzten Sonnenstrahlen des Abends, ein. Die Bündelung der Abendsonne auf die im Dunkel liegende Ziegelwand reflektiert Rot, gleich dem roten Feuer einer Implosion als Metapher für die Transformation des eigenen Lebenslichts mit der körperlichen Loslösung der Seele hinüber in die geistige Welt. Der abgestreifte Köper wird eins mit der Erde. Der Wanderer verlässt als Bild für die aufsteigende Seele den Raum über eine schmale spiralförmige Treppe nach oben, gleich der Umkehrung des Geburtskanals.

»Haus für den Abend«
Grafit auf Papier, Fotomontage

»Um des Leeren willen hat der Meister das Haus erbaut.« (Toyotama Tsuno)

Ort ohne Wiederkehr

Nacht

Dies ist das Haus für die Nacht, der Ort ohne Wiederkehr. Hier endet der Tag und wird zur Nacht. Hier endet das Leben um sich für einen weiteren Zyklus zu erneuern.

Der Steg als Übergang vom Strand aufs Plateau im Meer versinnbildlicht die Brücke zwischen Leben und Tod. Es ist die Brücke zwischen dem Diesseits und dem Jenseits, der Versöhnung mit dem Tod. Das Pyramidenplateau ist das Haus der Toten. Hier beginnt der Übertritt in das Reich der Toten. Die Flut umspült die Pyramide, überflutet allmählich den Steg und trennt den Weg zum Leben. Der Tag versinkt im Meer, der Mond steigt am Nachthimmel auf. Im Zentrum der Pyramide bildet eine kreisrunde Vertiefung ein Auffangbecken für das überflutende Meereswasser. Darin spiegelt sich der Mond, die Nacht beherrscht den metaphysischen Raum. Hier verbirgt sich das Wissen über die zyklischen Kräfte der Erde, versinnbildlicht durch Ebbe und Flut, mit der kosmischen Verbindung: Der Geist des Windes, das Lebensfeuer der Sonne, der Körper der Erde und die Lebensfluss des Wassers.

»Ort ohne Wiederkehr«
Grafit auf Papier, Fotomontage

»Wenn ich das Wasser schöpfe, ist der Mond in meiner Hand!« (Zen Koan)

Mappe

Mappe

Die Mappe beinhaltet eine Zusammenfassung des Architekturprojekts »Einräume« mit Texten, Zeichnungen und Fotomontagen.

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»Sehen und Nicht-Sehen das ist richtiges Sehen.« (Hui-neng)

Ausstellung

Das konzeptionelle Architekturprojekt »Einräume, ein Garten für die Meditation« wurde in der Akademie der bildenden Künste vom 26. — 29. März 1990 ausgestellt.

Form Bewusstsein

formen
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Intuitiv Bauen

am Ort
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Einblicke

in Farbräume