Olympia Götterspiele
von Olympia München
»Es war doch die Möglichkeit, das neue Deutschland als weltoffen und tolerant zu zeigen, also raus aus der Nazi-Vergangenheit.«
Olympia 1972 heute?
Zwölf Olympia-Zeitzeugen berichten 50 Jahre nach Olympia 1972 über ihre persönlichen Erinnerungen — von der Idee 1965 für Olympia München, der Entscheidung in Rom 1966 bis zur Umsetzung der Spiele 1972 und was sie davon in die Gegenwart hineintragen.
Im Laufe meiner Recherche wurde ich von der Aktualität, die die Olympischen Spiele 1972 auch heute uns noch für haben überrascht, als im Sommer 2022 zum fünfzigjährigen Jubiläum mit den European Championship Munich der olympische Geist von »Heiterkeit, Toleranz und Offenheit« noch einmal auflebte. Die Begeisterung 1972 der Menschen für das »neue Deutschland« motivierte die Bürger der Stadt München in kürzester Zeit einen bemerkenswert visionären Ort für Olympia umzusetzen, dessen Strahlkraft bis heute erhält.
»Es waren gerade mal 27 Jahre, da der Krieg zu Ende war. Da kann man verstehen, dass das eine schwere Entscheidung war, München die Spiele zu geben.«
Citius, altius, fortius
»Schneller, höher, stärker«
— so lautet das offizielle Motto der Olympischen Spiele in München 1972, ganz im Sinne der ersten panhellenischen Spiele auf dem heiligen Hain um 770 v. Chr. Über 1000 Jahre wurden diese Spiele ununterbrochen ausgetragen bis ins 4. Jhdt. ausgetragen, bis Rom verbot. Erst 1898 holte Pierre de Coubertin die Olympischen Spiele, als Spiele der Neuzeit ins Leben zurück.
München hat sich ganz im Sinne des ursprünglichen olympischen Geistes zur Aufgabe gemacht, die sportlichen Wettkämpfe mit kulturellen Ereignissen zu verbinden. Es entsteht eine weitläufige Grünanlage auf dem Olympiagelände, die ein vielfältiges kulturelles Treiben, neben den kulturellen Angeboten der Innenstadt, beheimaten — die »heiteren« Spiele der kurzen Wege! Umso tragischer war die Erschütterung am zehnten Tag mit dem Attentat auf die israelischen Sportler. Die schwierige Entscheidung, die Spiele fortzusetzen, wird zur Brücke über die die Menschen gehen um nicht im Trauma zu erstarren. Mehr darüber im Buch .
»Wenn wir aufgegeben hätten, dann hätten wir uns selber aufgegeben. Nein, wir stehen zusammen. Und dann hast du einen Wert, der überlebt, der dich vereint, der dich weiterbringt und weitermachen lässt.«
Raum der Erinnerung
Den Geist der olympischen Spiele greifbar machen.
Die multimediale Ausstellung spürt mithilfe von Zeitzeugen-Berichten, die zu Audio-Video-Collagen verarbeitet werden, großformatigen Fotografien und historischem Filmmaterial den olympischen Geist 1972 nach und verwebt diese zu einer raumgreifenden Installation, die zeitweise performativ bespielt wird und in den Kontext der Gegenwart stellt. Über Kopfhörer tauchen die Besucher in die persönlichen Berichte der Zeitzeugen und politischen Hintergründe von Olympia ein, während das Auge über die visuellen Projektionen wandert. Eigene Gedanken und Bilder mögen vor dem geistigen Auge der Besucher aufsteigen — ein ehemals gesprochenes Wort, eine Berührung, ein Gefühl. So verdichtet sich im Laufe des Ausstellungsraums zunehmend auch mit Erinnerungen der Besucher, die ihre Geschichten für den Augenblick des Aufenthalts in die Gegenwart ziehen und beim Verlassen wieder die Vergangenheit der Gegenwart entlassen.
»Ich war total gegen Olympia. Und mit dem Bau des Stadions bin ich umgekippt. Ich fand das so eine tolle Idee, daraus ein Zelt zu machen.«
Imaginieren
Was verbindet das griechische Götteruniversum mit Olympia?
Die antiken panhellenische Spiele waren im ursprünglich eine rituelle Handlung, die zu Ehren Zeus, dem Vater der antiken Götterwelt, abgehalten wurden. In den Performances sind die Zeitzeugen zugleich Zeugen von Olympia als auch Olympioniken in der olympischen Disziplin der Dichtung. Jedem Zeitzeugen wird auf Grundlage seines persönlichen Berichts ein Gottcharakter zugeordnet. Im Wechsel mit politischen Inhalten und historischen Filmausschnitten werden Zitate der Zeitzeugen in Verbindung mit ihren Porträts und Göttercharakteren im Raum performt. So entsteht im Laufe des Abends ein dichtes Beziehungsgeflecht zwischen Schauspieler, Zuhörer und Zeitzeuge — die zeitlichen Grenzen lösen sich auf, das Abbild der Vergangenheit wird zur realen Präsenz und in die Gegenwart gezogen.
»Wir sind U-Bahn gefahren, sind S-Bahn gefahren. Ich rieche noch, wie alles roch. Ich höre noch die ältere Frau, die neben mir saß: Dit is janz wie in Berlin.«
Erzählen
Was tragen wir in die Gegenwart hinein?
Während die Erinnerungen vor dem geistigen Auge während des ungefilterten Redeflusses lebendig werden, deren Emotionalität zutiefst authentisch ist, entfaltet sich peu à peu das Wesen des Erzählers und verdichtet sich zu literarischen Skulpturen. Ausschnitte dieser Zeitzeugen-Interviews von Alexander Kosmak, Claudia Döring, Bernhard Rieger, Ellen Fritsche, Frank Fischer, Lilo Hernitz, Herfried Trögler, Hella Rabbethge-Schiller, Thomas Siegel, Ute Jäpel, Uta und Gerd Mannhardt wurden zu einer Audio-Video-Collage in die Installation und als rezitierte Text in die Performance eingearbeitet.
Interviews unter info@manuelarademaker.de
Buchmagazin
»Man hat nach dem fremden Bonn geblickt, wo die ganze Politik war und nach dem geteilten Berlin. Wir waren ja dieses Millionendorf, aber mit dem speziellen Flair.«
Erfassen
Im Sinne Harold Pinters Wirklichkeitsverständnisses sind Erinnerungen immer Erfindung und Dichtung und bilden eine eigene Wahrheit:
»Es gibt keine klaren Unterschiede zwischen dem, was wirklich und dem was unwirklich ist.« (Harold Pinter, Ausschnitt Nobelpreisrede 1958)
So verstehen sich die Erinnerungsberichte dieser Sammlung als Bruchstücke, gleich den Facetten eines Kaleidoskops. Die Bilder, die im Laufe des Erzählens an die Oberfläche strömen, verdichten sich zu einem konturenreichen »Gemälde«. Die gewählte Form des »geschriebenen gesprochenen Wortes« bewahrt die Unmittelbarkeit der freien Erzählung und den unverwechselbaren individuellen Ausdruck beim Transkribieren. Ähnlich der Vorstellung der antiken Olympioniken, als Sieger mit einer Statue verewigt zu werden, bleiben die Erinnerungen durch das Aufzeichnen lebendig. Das Buch beinhaltet redigierte Zeitzeugen-Interviews mit Fotografien von Bettina Lindenberg, historische Informationen und einen Beitrag der Autorin.
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»Ein Gefühl war Erstaunen, wie sich da plötzlich so eine Landschaft auftat.«
Mitwirkende
Manuela Rademaker (Konzeption, Audio/Video, Performance, Interview, Buch)
Bettina Lindenberg (Großformatige Fotografie)
Herbert Fischer (Performance, Sprecher)
Jeannette Kummer (Medienberatung, Buchlayout)
Stefan Bößl (Technik)
Die multimediale Installation fand vom 1. Juli bis 28. August 2022 im Schauraum Ackermannbogen in München statt, die Performance wurde an drei Abenden während der Ausstellung durchgeführt.
Gefördert durch das Kulturreferat II und IV der Landeshauptstadt München, dem Bezirk IV Schwabing-West und das Kulturbüro Ackermannbogen e.V.